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Hermann Consten

Hermann Constens Buch „Weideplätze der Mongolen – Im Reiche der Chalcha“ erschien zum ersten Mal 1919 im Verlag Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) A.-G in Berlin. Es wurde gedruckt in der Druckerei J. J. Augustin in Glückstadt. Ein Reprint ist heute noch erhältlich, zumindest antiquarisch.

Diese Druckerei war damals einer der wichtigsten Druckereien, die in allen möglichen Sprachen und Schriftsystemen drucken konnten. Insbesondere wurden in der zur Druckerei gehörenden Setzerei sowohl chinesische Schriftzeichen als auch die uigurische Schrift gesetzt. Im Museum für Arbeit in Hamburg war zur Druckerei Augustin 2011 eine Ausstellung zu sehen, in der auch in uigurischer Schrift gedruckte chinesische Texte ausgestellt waren.  Die Mandschu-Dynastie ließ für die nomadischen Völker des Nordens vielfach ihre Gesetze und sonstigen Dokumente in uigurischer Schrift, aber chinesischer Sprache drucken und hatte Kontakte nach Glückstadt. Hier in der erhalten gebliebenen Druckerei Augustin läßt sich sicher noch einiges Interessante zutage fördern.

Aber zurück zum Buch von Consten: Es scheint so, al ob Consten hier eine Reise über den Tschuiski-Trakt im russischen Altai nach Hovd und weiter nach Urga und zurück beschreibt, die 1911/1912 stattgefunden habe. In Wirklichkeit fügt Consten in diesem Buch verschiedene Reisen zusammen. Der Leser kann dies daran erkennen, dass z.B. im ersten Teil des Buches noch auf russischer Seite der „Argali-Jäger“ Consten begrüßt wird, die Argali-Jagd selbst aber wesentlich später geschildert wird. Auch wechselt die Ausrüstung der Reisegesellschaft von Consten während der Hinreise mehrfach. Zuerst begleitet er einen Konsul nach Hovd, die Ankunft in Hovd aber spielt keine Rolle usw.

Das macht aber nichts, denn das Buch von Consten ist voll von konkreten Beobachtungen. Insbesondere erhält der Leser für die Reise selbst konkreten Einblick in das chinesische Post-System. Die Mongolei war überzogen mit einem Netz von „Urton“ genannten Poststationen, wo dienstpflichtige freie Mongolen lebten, die Pferde oder Kamele für die Postreiter bereitzustellen hatten – ganz ähnlich dem Pony-Express in den USA. Außerdem hielten die Urton-Verwalter Schafe und Ziegen, um auch für die Verpflegung der Postreiter und privilegierter Reisenden zu sorgen. Consten war ein so privilegierter Reisender: Er hatte Diplomatenpässe der Mandschu-Dynastie und von Russland, die ihm die Versorgung mit Last- und Reittieren, Begleitpersonal und Verpflegung zusicherten.

Ganz nebenbei: Der Begriff Urton, der diese Poststationen bezeichnet, gilt auch als eine Entfernungsangabe. Dabei wird damit aber nicht die Entfernung in Form von Kilometern gemeint, sondern die Entfernung, die ein durchschnittliches Reittier in der dem jeweiligen Gelände angepasster maximaler Geschwindigkeit zurücklegen konnte. Auf der Ebene der Steppe konnte in solches Pferd etwa eine halbe Stunde galoppieren und in dieser Zeit legte es etwa 20 Kilometer zurück. Nach dieser Anstrengung musste es gewechselt werden. Dieses Maß „Urton“ ist heute noch immer die Entfernung für die Pferderennen des Naadam, des mongolischen Nationalfeiertag. Dieses System der Poststationen geht – wie könnte es anders sein – zurück auf Dschinghis Khan, der sich aber auf das sehr ältere Wege- und Kommunikationsnetz der Xiongnu stützen konnte. Damals war es nicht üblich, wichtige Botschaften schriftlich zu übermitteln, u.a. auch deshalb, weil der Empfänger womöglich nicht lesen konnte. Deshalb wurden solche Botschaften von den Briefträgern auswendig gelernt. Es war also wichtig, dass der  Bote selbst den ganzen Weg zurücklegte. Als größte glaubhaft übermittelte Entfernung, die ein solcher Bote an einem Tag zurückgelegt hat, werden knapp 1000 Kilometer angegeben. Dies entpsricht aber ziemlich genau einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 Kilometern in der Stunde – eine Entfernung, die in freier Steppe im Urtonsystem abgedeckt ist – vorausgesetzt, der Reiter hält durch.

Eine ganz wesentliche Bedeutung hat Constens Buch aber aus wesentlich vier Gründen:

  • Consten fotografierte auf seinen Reisen und so sind die Fotos, die auch im Reprint noch einigermaßen zu erkennen sind, vielfach die einzigen, die aus dieser Zeit erhalten sind. Dies trifft schon zu für die Fotos im russischen Altai, die teilweise auch im Hiematmuseum in Barnaul am Ob ausgestellt sind und die Beschwernisse der Reise auf der russischen Seite deutlich machen.

Wichtiger aber sicher sind

  • zweitens die Fotos aus Urga kurz nach der Unabhängigkeit der Mongolei von China im Jahr 1911 sowie
  • drittens die Fotos, die Consten auf der Rückreise 1912 in Hovd gemacht hat. Insbesondere sein Bild des mongolischen Warlords Dambijantsan ist ein Klassiker, das in keiner Veröffentlichung zur Geschichte der Mongolei fehlen darf.
  • Und viertens ist Consten auf dieser Reise auch Zeitzeuge für den vielfältigen Einfluß, den das zaristische Russland in der Mongolei ausgeübt hat: So berichtet Consten von russischen Goldsuchern am Baidarak-Fluß bei Bayankhongor, eben dem Ort, an dem später DDR-Geologen Goldvorkommen erschlossen haben und wo heute (wieder) gefördert wird. Und so wird der Leser Zeuge der militärischen Einmischung Russlands in die Mongolei, indem er den parallelen Vormarsch der Sabaikal-Kosaken von Urga nach Hovd miterlebt. Die Kosaken (sabaikal: Hinter dem Baikal) sicherten in Ostasien die russischen Interessen. Auch der spätere terroristische Abenteurer Ungenr-Sternberg, der 1921 kurzfristig seine Herrschaft in der Mongolei ausübte, war damals ein Offizier eben dieser Truppe.

Die späteren Bücher von Consten erreichen nicht die Qualität dieses Werkes. Teilweise sind sie sogar sehr schwülstig in ihrer Naturbeschreibung. Auch in den „Weideplätzen“ gibt es einige Passagen, die die Person von Consten in einem durchaus düsteren Licht erscheinen lassen: So seine Siegerpose als Argali-Jäger oder seine Verhaltensweisen gegenüber nicht willfährigen Mongolen, wo er auch in bester Kolonial-Herren-Manier von der Reitpeitsche und Pistole Gebrauch macht.

  • Mysterien. Im Land der Götter und lebenden Buddhas, 1925
  • Der Kampf um Buddhas Thron, 1925
  • Der rote Lama. Ein Erlebnis aus dem innersten Asiens, 1928

Doris Götting hat zu Consten ein Buch veröffentlicht (ISBN 9783879974153):

  • „Etzel“: Forscher, Abenteurer und Agent Die Lebensgeschichte des Mongoleiforschers Hermann Consten (1878-1957)
Hermann Consten, ca. 1907 in der Mongolei

Biographie

Die nachfogende Biographie bezieht sich auf eine Wanderausstellung mit Bildern zur Hermann Consten, die die  Deutsch-Mongolische Gesellschaft als Wanderausstellung aufgebaut hat. In dieser Ausstellung „Bilder aus der Ferne“ werden Fotografien von Hermann Consten vor allem aus den Jahren 1927 – 1929 gezeigt, die nach seinem Tod als Negative in einem Koffer auf dem Dachboden aufgefunden wurden.

Hermann Joseph Theodor Consten kommt am 14. März 1878 in Aachen als Sohn eines wohlhabenden Brennereibesitzers zur Welt. Nach Schuljahren in Aachen und Friedrichsdorf/Hessen schreibt sich Consten als Hörer im Fach Architektur an der TH Aachen ein, wechselt nach zwei Semestern nach Karlsruhe und setzt dort sein Studium fort, allerdings ohne einen Abschluss zu erlangen. 1899/1900 wechselt Consten zur Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen, auf der landwirtschaftliche Führungskräfte für den Einsatz in den deutschen Kolonien vorbereitet werden. Im September 1900 erhält er sein Abschlusszeugnis. Consten bricht nach Ostafrika auf, wo er in einer Pflanzung in Kwamkuju als Assistent arbeitet. Anschließend übernimmt er Verwalteraufgaben auf der Rheinischen Handei-Plantage, einer Kaffeefarm, die von dem Diplomaten und Forscher Max von Oppenheim gegründet wurde. 1905 kehrt er wegen einer Malaria-Erkrankung nach Deutschland zurück. Er zieht im gleichen Jahr nach Moskau, lernt Russisch und beginnt ein Studium am Lazarev-Institut, wo er vermutlich erste Grundkenntnisse der mongolischen Sprache sowie der Ethnographie und Geographie der mongolischen Völker erwirbt. Er wird Mitglied der Kaiserlich Russischen Geographischen Gesellschaft.
1907 bricht Consten zu seiner ersten Mongolei-Expedition auf, der bis 1913 weitere folgen. Constens Expeditionen gelten vor allem dem Gebiet der Chalcha-Mongolen in der Äußeren Mongolei, wo er u.a. in russischem Auftrag umfangreiche Landvermessungen vornimmt und eine ethnologische Sammlung anlegt. Darüber hinaus knüpft er Kontakte zu führenden politischen und religiösen Persönlichkeiten der Mongolei, die ihn mit Beratungs- und Emissärsaufgaben betrauen, er unterhält aber auch gute Beziehungen zu chinesischen Kaufleuten. 1911 erlebt Consten nach dem Sturz der Qing-Dynastie in China die Kämpfe der Mongolen für ihre staatliche Unabhängigkeit, vor allem die blutigen Auseinandersetzungen rund um die Stadt Khovd. Im selben Jahr werden ihm durch den Gouverneur von Hovd und Uljasutai, Zezen Beise, Titel und Insignien eines Gung (vergleichbar unserem Grafentitel) verliehen.
Durch engen Kontakt zu den Menschen und ihrem täglichen Leben erhält Consten Einblick in viele Facetten des mongolischen Alltags. Besonders intensiv studiert er die mongolische Ausformung des buddhistischen Lamaismus. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrt Consten über Moskau nach Deutschland zurück. Die Kriegsjahre 1914/1918 verbringt Consten in geheimer Mission in der Türkei und Ungarn.
Constens Buch „Weideplätze der Mongolen“ erscheint 1919/20 mit vielen Abbildungen bei Reimer in Berlin. Anfang der zwanziger Jahre läßt sich Consten als Privatgelehrter in Bad Blankenburg/Thüringen nieder. Er unternimmt ausgedehnte Vortragsreisen im gesamten deutsprachigen Raum und veröffentlicht mehrere Mongolei-Romane. Seine Wohnung wird zum Treffpunkt prominenter Asienforscher, darunter Sven Hedin.
1925 empfängt Consten den mongolischen Erziehungsminister Erdene Batchaan in Bad Blankenburg. 1927 reist er nach Ost- und Zentralasien mit dem Plan einer weiteren Mongolei-Expedition. Auf Ceylon begegnet er Albert Grünwedel, reist weiter nach China. Politische Wirren und Versorgungsschwierigkeiten verzögern den Aufbruch der Expedition in die Mongolei; ein früher Wintereinbruch 1928/29 bringt zusätzliche Behinderungen. Unmittelbar hinter der mongolischen Grenze wird Consten verhaftet und monatelang in eisiger Kälte festgehalten, bis ihm die Weiterreise nach Ulan Bator gestattet wird. Von dort wird er im April 1929 nach China abgeschoben.
1929-1950 lebt Consten am Stadtrand von Peking und verdient seinen Lebensunterhalt mit einem Reitstall. Nebenbei verfasst er wissenschaftliche Aufsätze über Kultur und Religion der Mongolen, u.a. für die Zeitschrift XXth Century (Herausgeber: Klaus Mehnert). Er sammelt Kunstgegenstände und mongolische Landkarten und plant die Veröffentlichung einer Mongolischen Grammatik und einer Encyclopedia Mongolica. 1936 heiratet Consten die China- und Japanspezialistin Eleanor von Erdberg. 1950 kehren beide aus dem maoistischen China nach Deutschland zurück und lassen sich in seiner Heimatstadt Aachen nieder. Am 4. August 1957 stirbt Consten in Aachen.

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