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Kalmücken unter dem Hakenkreuz

Aus „Freitag“, 09.01.2004
von Nellja Veremej

Die Bilder wurden von uns eingefügt.

Eine Karawanserei

200.000 Kalmücken lebten zwischen Wolga und Don, doch der Krieg setzte das nomadische Volk wieder in Bewegung – als Hitlers Verbündete in den Westen oder in die sibirische Verbannung.
Das Auffälligste waren die Kamele: Von der Wolgasteppe bis nach Österreich begleiteten sie die Einheit der Kalmücken, die Anfang 1943 den deutschen Truppen gefolgt waren. Etwa 10.000 Menschen aus dem sowjetischen Kalmückien hatten sich damals als Kollaborateure der deutschen Besatzer auf den Weg gemacht, denn sie hatten ebenso wie ihre Angehörigen keine Überlebenschance in ihrer inzwischen von der Roten Armee zurückeroberten Heimat. „Die Karawane sah recht pittoresk aus„, erzählt die Anthropologin Elsa Gutschinova, die sich mit der bis heute verdrängten Seite der Geschichte in Kalmückien befasst. „Die Kamele trugen zusammengefaltete Zelte, sogenannte ‚Kibitkas‘ und sonstigen Hausrat; auf Pferdewagen wurden Alte und kleine Kinder in der traditionellen Tracht transportiert. Die übrigen Männer und Frauen ritten, dazu kamen die buddhistischen Geistlichen, kahlköpfig und in flammend bunten Gewändern. Für die deutschen Militärvorgesetzten war es natürlich lästig, eine derartige Nomadenkarawane mit sich zu schleppen, doch sie mussten sich damit abfinden: Die Treue und die kämpferischen Fähigkeiten der Kalmücken, besonders im Kampf gegen Partisanen, waren sehr geschätzt.

Nationalsozialistische Völkerkunde

Deutschen Ethnographen fiel die Aufgabe zu, den Deutschen die künftigen Untertanenvölker näher bringen. Eine Vielzahl von Broschüren mit Beschreibungen der jeweiligen zur Unterwerfung bestimmten Völker wurden noch vor dem Krieg verfasst. Im entsprechenden Merkblatt Grundsätze für die Behandlung der Kalmücken heißt es unter anderem: „Als Mongole ist der Kalmück von Haus aus misstrauisch. Gleichwohl ist er als Naturmensch von weicher Gemütsart und sehr empfindlich. Wenn man ihn für sich gewonnen hat, ist er von unbedingter Treue. Der Kalmücke gibt freiwillig alles her, solange er darum gebeten wird, wenn man ihm aber gewaltsam gegenübertritt, wird er schnell feindlich und geht dadurch als Hilfe verloren.“ Die nationalsozialistischen Strategen verstanden es, die Fehlschläge der sowjetischen Zwangskollektivierung und der Nationalitätenpolitik zu ihren Gunsten auszunutzen. Indem sie den Bauern Land und den ethnischen Minderheiten ihr Selbstbestimmungsrecht versprachen, gewannen sie die Kalmücken für die deutsche Sache. Die Begründung, warum ausgerechnet die Kalmücken zu Verbündeten der Arier auserkoren wurden, dürfte den Propagandisten allerdings einiges Kopfzerbrechen bereitet haben. Wie bereits für die Kosaken, die als eigene, für den Antisemitismus anfällige Rasse vorgestellt wurden, reservierten die nationalsozialistischen Ideologen auch den Kalmücken als direkten Nachfolgern von Dschingis Khan einen besonderen Platz – weit über dem der russischen „Untermenschen“ – in der Rassehierarchie.
An der Seite der Deutschen kämpften mehrere sogenannte Ostlegionen – die kosakische, armenische, aserbaidschanische, georgische, wolgotatarische, krimtatarische und turkmenische. Im Unterschied zur Kalmückischen wurden diese überwiegend aus Kriegsgefangenen rekrutiert. Für die Betroffenen war dies oft der einzige Weg zu überleben, denn die Haftbedingungen in den deutschen Kriegsgefangenenlagern waren infernalisch: von 5,7 Millionen starben 3,3 Millionen Menschen.

Die Verführung

Im August 1942 ist Kalmückien von den deutschen Truppen besetzt. Eine unabhängige prosperierende Kalmückische Republik soll der Lohn für die Unterstützung der deutschen Truppen sein. Abgesehen von diesem handfesten Versprechen spricht ein weiteres Symbol für die Besatzer: Das Hakenkreuz, ein den buddhistischen Völkern vertrautes Zeichen, schmückt die Ärmel der deutschen Emissäre. Der Aufbau der neuen Verwaltung wird einem Abwehroffizier mit dem Decknamen „Dr. Doll“ anvertraut. Der damals 44-jährige Geheimdienstmann mit guten Landes- und Sprachkenntnissen gewinnt rasch das Vertrauen der Kalmücken, so dass in kurzer Zeit in mehreren buddhistischen Gebetshäusern sein Porträt hängt. Die Verführung der Kalmücken wird Dr. Dolls geheimdienstliches Lebenswerk.

In einem der militärischen Berichte über die damaligen Verhältnisse in Kalmückien finden sich exakte Beschreibungen von dessen Strategien: „Kalmückenvolk, von russischer Zivilbevölkerung als zweitklassiges Volk betrachtet und terrorisiert, gewinnt Vertrauen zu den drei Deutschen. Dr. Doll hebt dieses Vertrauen durch besondere Bekämpfung der Minderwertigkeitsgedanken bei Kalmücken, Bürgermeistern und Führenden Kreisen, die sich selber als ’nationale Minderheit‘ in Russland bezeichnen.
Mit Hilfe der Polizei, welche die Basis des künftigen Verbandes bildet, werden während der deutschen Besatzung etwa 2.000 Menschen umgebracht, darunter die rund 100 in Elista lebenden Juden. Erfolgreich kämpfen die kalmückischen Partisanen für die Wehrmacht, sie greifen sogar reguläre Truppen der Roten Armee an, als diese durch die Steppe gegen Stalingrad zusammengezogen werden.
Die Besatzung dauert allerdings nicht einmal ein halbes Jahr. Am 1. Januar 1943, kurz vor der definitiven Niederlage der Deutschen in Stalingrad, erobert die Rote Armee die Stadt Elista zurück, die Deutschen ziehen ab und mit ihnen ihre kalmückischen Helfer. Stellvertretend für diese wird an der verbliebenen Bevölkerung Rache geübt: Im Dezember 1943 werden alle Kalmücken als Volk von Verrätern nach Sibirien deportiert. Das gleiche Schicksal erleiden Tschetschenen, Inguschen, Krimtataren – insgesamt zwölf Völker.
Sogar die Nachkommen der verbannten Kalmücken tragen bis heute den unsichtbaren Stempel von Verrätern„, sagt Elsa Gutschinova, deren Eltern sich in der Verbannung in Sibirien kennen gelernt haben und erst 1958 nach Kalmückien zurückkehren durften. „Diese Menschen galten in ihrer Heimat als Verdammte. Ich denke aber, dass für einen Großteil der Menschen, die zwischen zwei Diktaturen gerieten, die Entscheidung zur Kollaboration die einzige Möglichkeit war zu überleben.

Das Kriegsdenkmal für die Vertreibung der Nazi-Armee durch die Rote Armee in Kalmykien
Das Deportationsdenkmal - ein stilisierter Viehwaggon

Die Wehrmacht und die Kalmücken

Anfang 1943 zieht sich der Verband mit der deutschen Armee in die Ukraine, im Frühling 1944 nach Polen zurück, wo sie die dort kämpfenden deutschen Truppen unterstützen. Sie patroullieren im besetzten Hinterland, kämpfen in der Ukraine gegen Partisanen und in Polen gegen die regulären Einheiten der Roten Armee. In den besetzten Orten schlagen die kalmückischen Zivilisten im Freien ihre Lager auf. Das Essen kochen sie auf offenem Feuer, bunte Kleider und Lasttiere vervollständigen das Bild einer klassischen Karawanserei, was den deutschen Vorgesetzten bald zum ständigen Ärgernis wird. Alle Versuche, die Kalmücken in die preußische Disziplin zu zwingen, scheitern. Entnervte deutsche Vorgesetzte schreiben nach Berlin, den kalmückischen Helfern in Wehrmachtsuniform (mit der traditionellen roten Quaste an der Mütze) sei der Begriff Disziplin völlig fremd, ihre Offiziere verbrächten die Abende bei geselligen Trinkgelagen, selbst die Wehrmachtsmunition werde versetzt. Zu den deutsch-kalmükischen Reibereien kommen zahlreiche Konflikte mit der polnischen Bevölkerung. Die Klagen, die Kalmücken belästigten und vergewaltigten blonde polnische Frauen, finden in Berlin ein offenes Ohr, weil die Skandale das Ansehen der deutschen Besatzer zusätzlich belasten. Dennoch setzt sich Dr. Doll konsequent für die Kalmücken ein und verweist wiederholt auf ihre außerordentliche Treue und ihren Mut. Im Januar 1945 schließlich rückt die Rote Armee nach Polen vor, die deutschen Truppen samt ihrem kalmückischen Verband fliehen. Die erste Station in Deutschland ist Neuhammer. Von hier aus werden die kalmückischen Zivilisten in Flüchtlingslager nach Bayern verschickt.

Das Ende des Weges

Der Verband selbst wird neu formiert. Einen Teil verschlägt es nach Kroatien, wo sie gegen die Partisanen kämpfen sollen. Dort fallen sie in die Hände der Tito-Partisanen und werden der Roten Armee übergeben. Der Rest wird der russischen Kosakendivision von General Wlassow zugeteilt, der gegen Kriegsende in die Gewalt der Engländer gerät. Entsprechend den Verabredungen von Jalta zwingen die Sieger die Gefangenen zur Repatriierung. 4.000 kalmückische Männer werden im Juni 1945 in Linz den Sowjets übergeben. Hier verliert sich ihre Spur, ebenso die der Kamele, deren Schicksal für Elsa Gutschinova ebenfalls von Bedeutung ist: „Die Anweisungen bezüglich der in Europa exotischen Tiere halfen mir, den Weg des Kalmückischen Verbands durch den Krieg zu rekonstruieren. Außerdem hat das Schicksal der Tiere auch eine symbolische Bedeutung: Die Kalmücken sehen sich als Nachfolger jenes mongolischen Stammes, dem Dschingis Khan entspringt. Ihre Nomadenkultur pflegten sie bis ins 20. Jahrhundert, und in der traditionellen Volksmythologie teilt das Pack- und Renntier das Los des Nomaden. Der Verlust des Tieres bedeutet das Ende das Weges, was ja so viel heißt wie Tod. Die Kamele wurden damals in Linz erschossen.“
Nur wenigen Kalmücken gelang es, der Repatriierung zu entkommen. Eine der Möglichkeiten war Flucht und Identitätswechsel. Wegen ihres exotischen Aussehens hatten sie aber wenig Chancen, ihre Herkunft zu vertuschen; eine dieser Möglichkeiten hat Elsa Gutschinova aufgespürt: „In den Hausarchiven der überlebenden Kalmücken, die heute in München leben, sah ich Formulare, auf denen Lhasa in Tibet als Geburtsort angegeben ist. Diese Menschen gelangten mit der Kosakischen Division nach Westeuropa und wurden von den Alliierten gefangengenommen. Der einzige Ort im Ausland, der den Kalmücken vertraut war, war Lhasa, also gaben sie sich als Tibeter aus.“ Die Alliierten haben das geglaubt, und es war ohnehin unmöglich, die Angaben zu überprüfen.
„In einem der Kriegsessay von George Orwell“, beendet Gutschinova ihre Erzählung, „werden Tibeter erwähnt, die gegen Kriegsende in der Normandie in die Gefangenschaft der Alliierten gerieten. Sie hätten zufällig mit ihrem Vieh die sowjetische Grenze überschritten, seien mit den Russen in den Krieg geschickt worden und dann zu den Deutschen übergelaufen. Diese Version ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Allem Anschein nach sind die merkwürdigen russischen Tibeter in der Normandie meine Landsleute aus dem Kalmückischen Verband Dr. Doll.

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