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Von den Kurilen bis nach Kaliningrad: Die Bräuche der Völker Russlands. Die Kalmücken

Autor: Michail Pavlov, Opens external link in new windowStimme Russlands, 26.11.2010

Donkalmücken Ende des 19. Jhdts.; unbekannter Fotograf. Das Foto befindet sich Bestand des Ethnographischen Museums Russlands. Quelle: Wikipedia

Werte Hörerinnen und Hörer, heute erzählen wir Ihnen von den Kalmücken, dem einzigen mongolischsprachigen Volk in Europa. Sie sind die indigene Bevölkerung der Republik Kalmückien, eines Subjekts der Russischen Förderation im Süden des Landes. Die Kalmücken sind die Nachfahren von Stämmen, die Ende des 16./Anfang des 17. Jahrhunderts aus Zentralasien an den Unterlauf der Wolga und in die nördlichen Küstengebiete des Kaspischen Meeres kamen. Daher auch ihre Eigenbezeichnung „Kalmak“, was „Abgesonderter, Zurückgebliebener“ bedeutet.  In Russland hat das Volk der Kalmücken jetzt etwa 174 000 Angehörige. Ihre Hauptreligion ist der Buddhismus, ihre Sprachen sind Kalmückisch und Russisch.

Die Kalmücken sind seit alters als Nomadenvolk und als kämpfendes Volk bekannt. Außer ihrer Teilnahme an den Kriegen des Tschingis-Khan in der Vorhut des mongolischen Heeres haben sie sich im Mittelalter ein riesiges Territorium von der Mongolei bis hin nach Persien, und von Sibirien bis zum Tibet untertan gemacht. Die künftigen russischen Kalmücken kamen nach fast 40-jähriger Wanderung durch Sibirien und das Uralvorland in ihr heutiges Siedlungsgebiet. Die biologische Mannigfaltigkeit der hiesigen Steppen war den ihnen gewohnten nahe, die Boden- und Wasserverhältnisse erlaubten es den Kalmücken, die Qualität ihrer Nahrungsmittel wie Fleisch und Milch, aber ebenso die Rassereinheit ihres Viehs auf dem früheren Stand zu halten. Die Nachbarn der Kalmücken im Wolgagebiet wurden ebenso wie früher in Mittelasien die Muslime. Das Neue bestand für sie darin, zuverlässige Beziehungen zum „weißen Khan“ – das heißt zum russischen Herrscher herzustellen.

Das Khanat der Kalmücken entstand in der 30-er bis 40-er Jahren des 17. Jahrhunderts. Fast sofort  erwies es einen starken Einfluss auf alle Prozesse in den Gebieten am Kaspischen Meer sowie im Nordkaukasus. Zwischen den Kalmücken und den Russen gab es niemals Kriege. Die Kalmücken stimmten von Anfang an zu, die Grenzen zu schützen, und das haben sie in Ehren  realisiert. Den Kalmücken und  den Russen war es in kurzer Frist gelungen, ein gegenseitiges Verständnis und gegenseitige Achtung herzustellen, was für den Russischen Staat in den wirren Zeiten der Herausbildung des Herrscherhauses der Romanows äußerst wichtig war. Die Südgrenzen des Staates waren bereits seit den Zeiten der Kiewer Rus schutzlos. Das Auftauchen der kriegerischen Nomaden, die alle Welt als Teilnehmer des mongolischen Jochs kennt, die fortan aber dem Zaren treu waren und in Frieden und mit dem Willen zur Zusammenarbeit gekommen waren, erlaubte es Moskau, einen strategischen Bündnispartner zu erlangen. In der Folgezeit erwiesen die Kalmücken ihrer neuen Heimat unschätzbare Dienste bei der Abwehr der Interventen aus Schweden, der Türkei, aus Frankreich und Deutschland.

Nach ihrem freiwilligen Anschluss an Russland, fern vom Tibet, hielten die Kalmücken am Buddhismus fest.  Unter jenen, die sich dem Kosakentum angeschlossen hatten, verbreitete sich auch der christlich-orthodoxe Glauben. Der Buddhismus koexistierte dank seines Konformismus und seiner Aufgeschlossenheit friedlich mit  der Orthodoxie. Es ist bekannt, dass  gerade dank der Kalmücken ganze Plejaden herausragender Persönlichkeiten Russlands den Osten, insbesondere den Tibet und China, und ebenso den Buddhismus kennenlernten. Unter ihnen sind Jelena Blawatskaja,  Lew Tolstoi.  Über das besondere Schicksal der Kalmücken schrieben Puschkin, Gogol, Giljarowski, Nikolai Rerich, viele Forschungsreisende und Wissenschaftler. „Die Kalmücken sind mein liebstes Volk“, sagte der russische Schriftsteller Lew Gumiljow. „Nennt mich nicht Lew, nennt mich Arslan“, auf die kalmückische Art, sagte er.

 Russland als riesiges geopolitisches Staatsgebilde befand sich stets an der Nahtstellen zweier Zivilisationen und Welten – des Ostens und des Westens. Die prowestliche Politik von Peter dem Ersten wurde durch seine aktive Ostpolitik ausgeglichen. Zar Peter schätzte die Rolle der Kalmücken, die Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhunderts bereits etwa 100 Jahre im Bestand Russlands lebten und ihre Ergebenheit bewiesen hatten, hoch ein.

Die Kalmücken besitzen alle charakteristischen Züge, die dem mongolischen Volk eigen sind: sie sind nicht groß, stämmig, sie haben stark hervortretende Backenknochen, eine etwas platte Nase, eine typisch mongolide Augenform, eine braune Haut und schwarzes glattes Haar. Die russischen Forschungsreisenden hoben deren ungewöhnlich feines Gehör und deren scharfe Augen hervor, ebenso ihre Zähigkeit und wunderbare Anpassung an das rauhe Klima, das heißt, an den heißen, trockenen Sommer und den kalten, schneearmen Winter. Kalmückien liegt weit entfernt von den Ozeanen, was sein stark kontinentales Klima mit  wenigen Niederschlägen bedingt. Dabei boten ihnen das Klima und die Landschaft am Unterlauf der Wolga optimale Bedingungen für die Fortsetzung und Entwicklung ihrer Viehzuchttraditionen. Sie hielten Pferde, Schafe, Rinder und Kamele.

Die traditionelle Behausung der Kalmücken war bis ins 20. Jahrhundert die so genannte Kibitka. Sie genügte allen Ansprüchen ihres Nomadenlebens. Eine solche Kibitka wurde aus zusammenlegbaren Gittern errichtet, diese wurden mit Filzmatten gedeckt. Oben besaß sie eine Öffnung, damit das Tageslicht eindringen und der Rauch abziehen konnten. Die Inneneinrichtung einer Kibitka war bestens durchdacht: in der Mitte befand sich die Feuerstelle, links vom Eingang hing das Pferdegeschirr, hier war auch der Platz für die Alten und die Kinder. Rechts vom Eingang wurden alle Haushaltsgegenstände aufbewahrt. Im nordöstlichen Teil einer Kibitka schlief der Hausherr. Die Unterschiede im Wohlstand äußerten sich im Dekor. Die Kibitka eines reichen Kalmücken  war bedeutend größer und mit weißem Filz gedeckt, die eines Armen – mit schwarzem Filz.

Die feudale Oberschicht der Kalmückengesellschaft baute bereits im 17. Jahrhundert auch Holz- und Steinhäuser.  Darin äußerte sich die Erfahrung der in ihrer Nachbarschaft lebenden sesshaften Völker, besonders der Russen. Der Forschungsreisende Potozki schrieb seinerzeit: „Wir kamen an einer Insel vorbei, auf der uns etwas sehr verblüffte: das war ein wunderschönes Haus, erbaut vom kalmückischen Fürsten Tjumen.“ Die Kalmücken erlernten sehr schnell das Bauhandwerk. Der Kalmücke Michail Serdjukow wurde ein herausragender Organisator, auf ihn wurde Peter der Erste aufmerksam. In den Jahren 1719 bis 1722 erbaute er nach eigenem Projekt im Kreis Wyschnij Wolotschek einen neuen Komplex hydrotechnischer Bauten.

Die Angaben über die Eigenheiten der kalmückischen Bekleidung im 17. und 18. Jahrhundert sind sehr rar. In den Quellen werden Pelzmäntel, Westen, Chalate (weite Mäntel) aus Seide oder Leinen erwähnt. Im Winter wurden Schafspelze getragen. Die reichen Kalmücken trugen  Pelzmäntel aus Zobel- oder Biberpelz.  Die Kalmückinnen, besonders die jungen, trugen zu festlichen Anlässen Kleider aus Seide, Samt oder dünnem Brokat in den verschiedensten Farbtönen.

Die Familien der Kalmücken waren monogam. Ihrem Epos „Dschangar“ ist zu entnehmen, dass sein Held nur eine Ehefrau hatte. Die Frau verfügte in jeder kalmückischen Familie über den Hausrat und nahm an der Entscheidung aller wirtschaftlichen und familiären Fragen teil. In der Öffentlichkeit spielten die Kalmückinnen dagegen keine bemerkbare Rolle. Verstarb das Familienoberhaupt noch ehe der Sohn volljährig war, so durfte die Witwe an den Dorfversammlungen teilnehmen. Den Frauen der jüngsten Söhne war es verboten, die älteren beim Namen zu nennen, barfuß und ohne Kopfbedeckung neben ihnen zu gehen.

Die Kalmücken bevorzugten als Nahrungsmittel Fleisch und Molkereiprodukte. Aus gesäuerter Kuh-, Schafs- oder Kamelstutenmilch bereiteten sie einen so genannten Tschigjan, und aus Stutenmilch – Kumys zu. Erzeugnisse aus Mehl wurden bei den Russen gekauft. Meistens  im Winter. Einen wichtigen Platz in der Ration aller erwachsener Kalmücken nahm der Tee ein. Er wurde zudem mit Milch, Fett und Salz gekocht. Der Kumys war hoch geschätzt. Schon immer wurden damit die Tuberkulose und Magen-Darm-Erkrankungen behandelt. Die Kalmücken bereiteten aus Milch mehr als 20 verschiedene Gerichte zu. Beliebt waren Speisen aus Hammelfleisch. Auch das Pferdefleisch wurde nicht verschmäht, besonders das Fleisch junger Pferde. Beim Fleischverzehr wurden die alten Traditionen gewahrt. Bestimmte Teile waren für Gäste bestimmt, die Nieren – für die Jungen, das Herz – für die Mädchen, das Fleisch vom Schulterblatt – für die Alten und für Ehrengäste, der Kopf eines Schafes – für erwünschte Gäste. Bei den Kalmücken war das ein ebensolcher Brauch wie die Begrüßung von Gästen mit Brot und Salz bei den Russen und Ukrainern.

Im Leben der Kalmücken nahmen Feste und Spiele einen festen Platz ein. Zu den alten Volksfesten gehören „Sul“ – das Neujahrsfest, das Ende November oder Anfang Dezember begangen wurde, ebenso „Ures“ – ein Fest des Grüns und des Sommeranfangs, das im Mai begangen wurde. Bei den Sommerfesten gab es unbedingt verschiedenste Wettkämpfe und Pferderennen, wofür die Pferde und Reiter  frühzeitig mit dem Training begannen. Sehr populär war unter den Kalmücken das Schach- und Damespiel.  Damit befassten sich die Vertreter aller Klassen und Schichten, Frauen wie Männer. Forschungsreisende, die zu verschiedenen Zeiten in Kalmückien weilten, hoben die Fertigkeiten der Kalmücken im Schachspiel hervor.

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