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Woher bei den Mongolen die Märchen kamen

Man erzählt, daß sich vor vielen  Jahren unter den Mongolen eine schreckliche Seuche ausgebreitet habe – die schwarzen Pocken – und daß die Menschen zu Hunderten und Tausenden daran gestorben seien. Die, die gesund blieben, flohen aus den Gegenden, wo die Seuche herrschte, und überließen die Kranken ihrem Schicksal.

So war auch ein junger Mann von fünfzehn Jahrne, Sochor Tarvaa genannt, allein gelassen worden und hatte schon das Bewußtsein verloren. Da verließ seine Seele ihren Körper und begab sich in die untere Welt zu Erleg Chaan. Als Erleg Nomon Chaan diese Seele kommen sah, wunderte er sich sehr.: „Warum bist du gekommen und hast deinen Körper verlassen, aus dem der Lebenshauch noch nicht entschwunden st?“ fragte er. Die Seele antwortete: „Man hat meinen Körper schon für tot gehalten und im Stich gelassen. Deshalb bin ich – ohne noch abzuwarten, bis er ganz stirbt – hergekommen, um über meine irdischen Vergehen Rechenschaft abzulegen.“

Weil dem Erleg Chaan soviel Ergebenheit wohlgefiel, sprach er: „Deine Zeit ist noch nicht gekommen! Mögest du zu deinem Herrn zurückkehren! Doch bevor du gehst, nimm dir von mir, was du haben möchtest!“ Und dann führte er ihn durch die untere Welt. Dort gab es alles: Reichtum, Glück, Genuß, Vergnügen, Freude, Leiden,  Tränen, Fröhlichkeit, Lachen, Musik, Gesank, Märchen, Tänze – einfach alles, was es im menschlichen Leben gibt. Sochor Tarvaas Seele sah das alles an und wählte die Märchen. Erleg Chaan schenkte sie ihr und schickte sie zurück auf die Erde. Doch als die Seele zu ihrem leblosen Körper zurückkehrte, hatten Raben ihm schon die Augen ausgehackt. Schwer war es der Seele, den Körper, zu dem sie gehörte, so zugerichtet zu sehen. Doch sie wagte es nicht, Erleg Chaan ungehorsam zu sein, und so nahm sie ihren Platz wieder ein.

Sochor Tarvaa – der blinde Tarvaa – lebte danach noch lange. Er kannte die Märchen aller Völker und alle Wahsagekünste. Erblindet, sah er doch in die Zukunft. Er zog durch die ganze Mongolei, erzählte Märchen und gab sie so dem Volk weiter. Seit dieser Zeit erzählt man Märchen unter den Mongolen.

Anmerkung:

Erleg Chaan ist der Gott der unteren Welt und der Hölle. Insofern ist er dem Satan vergleichbar, Er ist aber gleichzeitig auch der Richter über die Toten. Er ist im Schamanismus sibiriens, bei den Turkvölkern und den Mongolen eine der wichtigsten Götter. Siehe auch

Nach ihm ist ein Dinosaurier benannt: Der Erlikosaurus.

In Pierer’s Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 858 heißt es über ihn:

Erlik-Khan (lam. Rel.), Beherrscher der Hölle u. aller Geister u. Richter der Seelen. Er regierte einst auf der Oberwelt u. vereinte mit großen Verdiensten auch große Laster. Besiegt durch den Burchan. Dschamandaga that er Buße u. wurde Beherrscher der Unterwelt u. Gott. Seine Residenz ist mitten im Biridien-Orron, sein Palast mit 16 eisernen Mauern umgeben, u. der Weg zu ihm führt durch die 36 Fegfeuer der Berid. Vorgestellt: mit Flammen umgeben, auf einem wüthenden Büffel reitend, in der Rechten ein Zepter, in der Linken einen Todtenkopf; das Haupt mit Hörnern u. Todtenköpfen geziert, das Gesicht löwen ähnlich.

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