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Was ist eigentlich Dsuud?

Seit nunmehr sieben Jahren ist die größte Bedrohung der nomadischen Existenz ausgeblieben — der Dsud. Der Viehbestand hat sich seit 1989 in etwa verdoppelt. Die von uns im Sommer 2008 befragten Viehzüchter waren alle mit den letzten Jahren sehr zufrieden. Dennoch ist das Bewusst­sein der Bedrohung durch diese regelmäßig wiederkehrende Katastrophe allgegenwärtig.

In den Wintern 1999 – 2002 sind in der Mongolei mehrere Millionen Tiere verendet infolge des Dsud. Tausende von Nomadenfamilien verloren ihre Existenzgrundlage. In der Berichterstattung wurde Dsud in den europäischen Medien als die Winterkatastrophe schlechthin, als Folge von Sturm, Kälte und Schneesturm dargestellt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Der Dsud gehört seit Jahrhunderten zu den Risiken nomadischer Existenz in der Mongolei. Im Schnitt etwa jedes siebte Jahr kommt es in den einzelnen Gegenden zum Dsud. Dsud ist ein Ereignis, das in jedem Jahr in einzelnen Gebieten der Mongolei auftritt. Und es ist weder die Kälte, noch der Wind oder der Schnee, der den Dsud ausmacht. Das mongolische Wort Dsud bezeichnet die „fehlende Weidemöglichkeit“, und die kann verschiedene Ursachen haben. So wird als schwarzer Dsud eine Situation bezeichnet, in der meist nach einem trockenen Sommer überhaupt kein Schnee fällt und die Tiere im Winter mit dem Futter überhaupt keine Feuchtigkeit aufnehmen können. Sie verdursten in der Kälte. Als weißer Dsud wird die Situation bezeichnet, in der so viel Schnee gefallen ist, dass insbesondere die Schafe und Ziegen nicht mehr an das Futter herankommen. Pferde und Yaks können vielfach die Schneedecke noch wegscharren. Als eiserner Dsud wird eine Situation bezeichnet, in der im Frühjahr Tauwetter wieder von Frost abgelöst wird und sich eine geschlossene Eisdecke über das schüttere Gras legt. Wenn es nicht gelingt, durch Einsatz von Großvieh diese Eisdecke zu zerschlagen, verhungern Schafe und Ziegen binnen weniger Tage. Da diese Situation im Frühjahr auftreten kann, sind hier insbesondere die Lämmer und Zicklein betroffen. Andere Autoren (z.B.: Lattimore, siehe unten) berichten noch von anderen Dsud-Arten — der „Huf-­Dsud“, wenn durch zu enges Zusammenstehen das Gras zertrampelt wird. Als Gan wird eine sommerliche Trockenheit bezeichnet, in der in der kurzen Vegetationsperiode das Gras nicht ausreichend wächst, und dementsprechend weder das Vieh genügend Substanz anfressen kann, noch genügend Wintervorräte angelegt werden können. Dies war im Sommer 2002 der Fall mit katastrophalen Folgen im darauffolgenden Winter, der „an sich“ so schlimm nicht war. In schlechten Wintern mit ausreichend Vieh ins Frühjahr zu kommen, trotz aller Risiken des nomadischen Lebens stellt die zentrale Herausforderung an die mongolischen Viehzüchter dar. In den Katastrophenwintern 1999 – 2002 waren es dementsprechend auch vorwiegend die vielen „Neu­-Züchter“, die alles verloren. Mit der Auflösung der landwirtschaftlichen Vereinigungen Anfang der 90er Jahre wurde das Vieh an alle Mitglieder verteilt, auch wenn sie seit Jahren keine praktische Arbeit mehr in der Viehzucht ausgeübt hatten. Dazu kommt, dass viele Familien angesichts der schlechten Versorgungs- und Einkommenslage in einem Leben in der Jurte eine Chance gesehen haben. Dies hat dazu geführt, dass Ende der 90er Jahre in der Mongolei so viele Familien als Viehzüchter lebten wie wahrscheinlich noch nie in der Geschichte der letzten 1000 Jahre. Unter den im Dsud zerstörten Existenzen waren es dann vor allem diese unerfahrenen Familien.

Die nachfolgenden Texte zum Dsud entnahmen wir drei Berichten. Der erste Text entstammt dem grundlegenden Buch von Erich Thiel, Professor am Osteuropa­-Institut der Universität München: Die Mongolei, München 1957. Thiels Arbeit wurde auch von sozialistischen Autoren als bahnbrechend angesehen. Der zweite Text stammt aus dem Buch: „Nomaden und Kommissare“ von Owen Lattimore, veröffentlicht auf Englisch 1962 und 1964 auf deutsch. Lattimore war Berater Tschiangkaischeks im Auftrag der US­-Regierung im chinesischen Bürgerkrieg und gilt als einer der besten Kenner der politischen Entwicklung in Nord- und Ostasien. Lattimore konnte in den 50er Jahren mehrfach die Mongolei bereisen und wurde auch von der mongolischen Regierung als objektiver Beobachter geschätzt. Lattimore bezieht sich u.a. auf Thiel, fügt aber einige weitere Überlegungen hinzu. Der dritte Text stammt aus dem Buch der amerikanischen Ethnologen Melvyn C. Goldstein und Cynthia Beall: Die Nomaden der Mongolei, 1994. Die beiden waren Anfang der 90er Jahre in zwei Sommern im Altai, um dort ethnologische Forschungen vorzunehmen. Für Mongolei­-Interessierte sind alle drei Bücher von unschätzbarem Wert. Sie sind — wenn überhaupt noch — allenfalls antiquarisch zu erhalten.

Erich Thiel: Die Mongolei
Abschnitt: Die Sorge um das Winterfutter

Bei der nomadischen Viehzucht, wie sie die Mongolen seit vielen Jahrhunderten und größtenteils auch noch heute betreiben, sind die Viehherden gezwungen, sich auch im Winter ihr Futter selbst zu suchen. Die Folge davon ist, dass der Zustand der Tiere sich im Winter außerordentlich verschlechtert, dass sie abmagern, an Kraft verlieren und manchmal zum Schatten ihrer selbst werden. Zum Hunger kommen dann noch andere Gefahren, wie die strenge Winterkälte, Schneestürme, hungrige Wölfe und Krankheiten, denen gegenüber die geschwächten Tiere nur von geringer Widerstandsfähigkeit sind. Das Jungvieh ist von allen diesen Gefahren ganz besonders bedroht. Die Entwicklung der gesamten Viehzucht hängt auch heute noch davon ab, wie viel Jungvieh man über den Winter und das Frühjahr erhalten kann. In normalen Wintern musste man früher mit einem Verlust von 20 Prozent des gesamten Viehbestandes rechnen. In einem besonders ungünstigen Winter waren örtlich, falls noch epidemische Krankheiten ausbrachen, Verluste bis zu 50 Prozent keine Seltenheiten. Manche Mongolen büßten ihren ganzen Viehbesitz ein und wurden zu Bettlern. Wie sehr die Futternot im Winter und Frühjahr die Tiere allgemein schwächt, zeigt am besten der außergewöhnliche Gewichtsverlust der Tiere, wie Schulshenko ihn in zwei Tabellen darstellt.

Mittleres Lebendgewicht bei Schafen

Datum

Muttertier

Kastrate

30.12.1950

47,9 kg

60,1kg

30.01.1951

40,2 kg

57,4 kg

28.02.1951

38,8 kg

56,6 kg

30.03.1951

34,0 kg

52,9 kg

30.03.1951

33,7 kg

44,5 kg

Abnahme

14,2 kg

15,6 kg

Lebendgewicht bei Kühen

Datum

Mittel

Schwankungen

10.10.1950

282,7 kg

233,0 – 317,0 kg

25.02.1951

257,0 kg

215,0 – 309,0 kg

26.05.1951

236,0 lg

180,0 – 283,5 kg

Abnahme

46,7 kg

53,0 – 33,5 kg

Im Allgemeinen darf gesagt werden, dass Mutterschafe während des Winters rund ein Drittel, Kastrate rund ein Viertel und Rinder rund ein Sechstel ihres Gesamtgewichtes verlieren (273/61). Die Abnahme des Lebendgewichtes ist nicht allein auf die geringe Futtermenge zurückzuführen, sondern auch auf die Verschlechterung des chemischen Bestandes der Pflanzen und auf den größeren Energieverbrauch zur Erlangung des notwendigen Futters.Der Futtermangel im Winter kann örtlich durch verschiedene Ursachen zu einer katastrophalen Not anwachsen. Die Mongolen unterscheiden hier zwei Arten, den „Zagan Dsud“ (Weißer Dsud) und „Chara Dsud“ (Schwarzer Dsud). Im ersten Falle entsteht die Futternot, wenn der Winter zu viel Schnee bringt. Die Tiere sind dann nicht in der Lage, die Pflanzen freizuscharren. Erschöpfung und Hunger fordern deshalb viele Opfer. Die Gefahr des „Schwarzen Dsud“ tritt vor allem in solchen Wintern ein, die einem trockenen Sommer folgen. Auf Grund der geringen Niederschläge haben sich die Pflanzen in der kurzen Vegetationsperiode nicht genügend entwickeln können, so dass im Winter allgemeiner Futtermangel herrscht. Die im Oktober in Trockenstarre gefallenen Halme enthalten kaum Feuchtigkeit und die Tiere nehmen mit der Nahrung kaum Flüssigkeit auf. Noch gefährlicher wird die Lage im Frühjahr, wenn die Schneedecke oberflächlich taut und sich bei nachfolgendem Frost mit einer Eisrinde überzieht. Das Kleinvieh kann diese nicht zertreten, um sich das darunterliegende Futter anzueignen. Man versucht sich dadurch zu helfen, dass man die Pferdeherden voraustreibt, denen dann die Kleintiere folgen. Wo keine oder nur wenige Großtiere vorhanden sind, muss der Mensch selbst die Eisrinde zerschlagen, so gut er kann, um der Not Herr zu werden. Die enge Abhängigkeit vom Klima, dessen Ablauf der Mensch nicht beeinflussen kann, lässt viele Mongolen das Geschehen als unabwendbares Schicksal hinnehmen. Fehlende Voraussicht und mangelnde Energie sind deshalb oft mit schuld, wenn die wirtschaftlichen Verluste größer sind, als sie hätten zu sein brauchen. Um eine Vorstellung davon zu geben, welche Viehverluste regelmäßig jedes Jahr entstehen, sei die folgende Zusammenstellung nach Angaben von Denissow gebracht:

Tierverluste durch Dsud in 1000 Stück

Jahr

Schafe

Ziegen

Rinder

Pferde

Kamele

Insgesamt

1937

378,4

93,3

77,3

25,1

14,1

588,2

1938

270,2

64,3

38,0

21,9

6,1

400,4

1939

368,5

122,2

53,7

54,4

16,1

614,9

1940

450,3

133,0

80,8

67,2

0,2

731,5

1943

352,1

168,5

39,5

25,1

17,0

602,2

1944

334,2

138,3

37,5

23,5

6,1

539,7

1945

1.630,7

599,7

502,1

237,0

86,5

3.056,0

Der Winter 1944/45, der durch seine außerordentlichen Verluste auffällt, war ein Unglück für die gesamte Tierzucht der MVR. Es sei darum auf die besonders schwierigen Verhältnisse dieses Zeitabschnittes hier ganz kurz eingegangen. Der Sommer und Herbst 1944 waren ungewöhnlich trocken. Die Dürre betraf den ganzen Osten, Südosten, die zentralen Gebiete und teilweise auch den Westen und das Nordwest-Ende der MVR. In diesen Gegenden gingen die Saaten, die von den Staatsgütern und Araten im Frühjahr angelegt worden waren, wegen der Trockenheit vollkommen zugrunde, und die Weideflächen und Heuschläge wurden von der sengenden Hitze gänzlich ausgebrannt. Ein Teil des Viehs verhungerte bereits, ehe der Winter begann. Die Regierung traf weitgehende Maßnahmen zur Verlagerung des Viehs in die von der Dürre weniger betroffenen Gebiete und setzte Militär und alle freien Kräfte als Hilfe für die Araten ein. Die Folge war, dass alle Weideplätze in kürzester Zeit abgegrast waren und die Tiere wie vorher hungerten. Auf den fürchterlichen Sommer und Herbst folgte ein früher Winter, der so schrecklich war, dass selbst die ältesten Mongolen sich eines ähnlichen nicht erinnern konnten. Gleich am Anfang brachte er viel Schnee und eisige Kälte. In tagelangen Schneestürmen wurden besonders Pferde und Rinder von ihren Herden abgetrieben und kamen um. Selbst das Großvieh war nicht mehr in der Lage, die unter der mächtigen Schneedecke verbliebenen spärlichen Vegetationsreste abzuweiden. Die Mongolen unternahmen in ihrer Verzweiflung den Versuch, die noch lebenden Tiere mit dem Kote der schon verendeten zu füttern. Sie erreichten damit nur, dass weitere Tiere an Verstopfung der Speiseröhre zugrunde gingen, statt etwas später zu verhungern (60/178). Die Regierung ließ den Schnee von den Weideflächen entfernen, verteilte Heuvorräte für das Vieh und Brot für die Araten.

Viehverluste durch Dzud in Tausend Stück

Aimak

1942/43

1934/44

1944/45

Nordchangai

40,8

21,8

61,0

OstGobi

27,3

7,3

130,3

Sabchan

20,3

100,8

284,9

Selenga

1,6

1,9

1,6

Chentei

20,7

12,2

185,4

SüdChangai

62,1

59,7

258,4

Tschoibalsan (heute: Ostaimak)

8,7

1,5

63,7

SüdGobi

32,1

3,4

52,0

Chubsgul

8,4

15,8

10,4

Kobdo

20,1

30,0

129,9

UbsaNur

10,5

3ß,8

189.2

Zentral

30,3

16,5

256,6

Bulgan

16,7

20,0

26,0

BajamUlegei

17,1

7,6

6,7

GobiAltai

94,3

114,6

422,4

MittelGobi

41,3

28,3

466,7

BajanCHongor

124,5

44,8

232,5

SucheBator

13,1

21,6

256,3

zusammen

579,9

538,6

4.033,9

Die allseitig eingesetzte und behördlich organisierte Hilfe konnte die Verluste immerhin beschränken, sonst wäre es zu einer grenzenlosen Katastrophe für die Mongolei gekommen. Trotzdem verlor die MVR in diesem Winter allein am Dsud mehr als 3 Millionen Tiere, und zwar in der Reihenfolge der Verluste: 16,3 Prozent des Rindviehs, 11,1 Prozent der Kamele, 10 Prozent der Ziegen, 9 Prozent der Schafe und 9 Prozent der Pferde. Unter den verlorenen Tieren waren besonders viele Jungtiere und trächtige Muttertiere, so dass im nächsten Jahr ein starker Mangel an Jungvieh herrschte. Im Übrigen sank infolge der Entbehrungen dieses Winters die Fruchtbarkeit der Tiere, was sich bis 1947 auswirkte. Von Interesse ist bei den Tierverlusten durch Dsud — also durch klimatische Ursachen — ihre räumliche Verteilung im Rahmen der MVR, wozu die obige Tabelle eingefügt worden ist. Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass im Winter 1944/45 die Verluste die der beiden vorangegangenen Jahre um ein Vielfaches übersteigen. Von den am schwersten betroffenen Aimaken gehören die meisten ganz oder teilweise der Gobi­-Zone an. Dort können auch in normalen Jahren keine Heuvorräte angesammelt werden, und es gibt keine Winterunterkünfte für das Vieh. Im Übrigen herrschte in den gleichen Aimaken auch 1940/41 eine große Trockenheit, die sich damals nicht weniger verhängnisvoll auswirkte. Doch fehlen hierüber statistische Angaben. … Nach Literatur- und Archivangaben traten Dsud-Erscheinungen in den letzten 77 Jahren in den verschiedensten Gebieten der MVR nicht weniger als achtzehn mal auf:Am stärksten ist das Zentralgebiet (zehnmal), dann der Osten (siebenmal) und erstaunlicherweise erst dann der Gobiteil (sechsmal) betroffen, während der Norden und Westen nur je einmal und auch dann nur teilweise das Auftreten von Dsud erlebten. Die von den Araten zur Bekämpfung des Dsud angewandten Methoden bestehen hauptsächlich darin, dass man die Tiere auf andere Weideplätze bringt, die ermatteten Tiere zusätzlich mit Heu füttert oder ihnen alle möglichen Surrogate verabreicht, von denen hier folgende genannt sein mögen: Pferdemist (für Hornvieh und Schafe); Tee mit Milch und Butter oder Fett, ausgekocht aus den Knochen gefallener Tiere; ein Gericht aus Heu und Gras mit Mehl, Pferdeleber in gekochtem Zustand u. a. Aber alle diese Maßnahmen sind praktisch von geringer Bedeutung, da sie nur auf einen kleinen Teil der Tiere Anwendung finden können. Wenn auch andere Gefahren und Hemmungen die Entwicklung der Viehzucht in der Mongolei behindern, auf die im folgenden Abschnitt eingegangen werden wird, so steht der Dsud, der Futtermangel im Winter, der Jahr für Jahr seine Opfer fordert, doch an erster Stelle. Die Sorge um das Winterfutter kann man als das Hauptproblem der mongolischen Viehzucht bezeichnen. Das einzige Mittel zur Überwindung dieser Not ist die rechtzeitige Beschaffung und Ansammlung eines ausreichenden Futtervorrats für die kalte Jahreszeit. Bei einigen wenigen fortschrittlichen Mongolen war die Besorgung einer beschränkten Heumenge für die Jungtiere auch schon früher üblich, doch der Großteil der Mongolen kannte das Heumachen und die Bevorratung für den Winter überhaupt nicht. Hier setzte nach der Begründung der MVR eine intensive Propaganda ein. Um die konservativen Mongolen, die bei ihren alten Methoden beharrten und sich gegen jede Neuerung wehrten, zu überzeugen und zu gewinnen, musste eine wahre Umschulung durchgeführt werden. Wie sehr man von Grund auf anfangen musste, beweist die Tatsache, dass es 1929 in der MVR nur 4.000 Sensen gab, deren Zahl sich aber bis 1938 bereits auf 40.432 erhöhte. Auch das bedeutet indessen noch sehr wenig, wenn man bedenkt, dass die Zahl der mongolischen Individualwirtschaften insgesamt mehr als 216.000 betrug. Eine gewisse Hilfe für die Entwicklung war der Einsatz von Grasmähern, die von den Staatsgütern angeschafft und auch auf Partei- ­und Viehzüchterversammlungen vorgeführt wurden. 1925 gab es in der MVR 90 Grasmäher und 47 Schlepprechen für Pferdezug (226/42). 1937 wurden die ersten 10 Heumähstationen eingerichtet, deren Ausrüstung aus der Sowjetunion eintraf. Der Maschinenpark derselben bestand aus insgesamt 40 Traktoren, 470 Grasmähern, 285 Schlepprechen, 20 Lastkraftwagen und 10 Schwerölmotoren. Auf diesen Stationen arbeiteten in diesem Jahr 124 sowjetische Spezialisten, die gleichzeitig die Ausbildung der Mongolen durchführten. 1938 wurde die Zahl der Heumähstationen (HMS) auf 24 erhöht und die Maschinenausrüstung auf 107 Traktoren, 1373 Grasmäher, 862 Schlepprechen und 122 Heupressen vergrößert. 1939/40 trat in der Organisation der HMS eine Änderung ein. Man verkleinerte sie und erhöhte dadurch ihre Zahl. Der Traktoreneinsatz für die Heugewinnung erwies sich als ungeeignet. Man überließ die Zugmaschinen den Staatsgütern zum Ackerbau und ging zum Pferdezug über. Damit konnten viele HMS ohne Rücksicht auf die Treibstoffversorgung eingerichtet werden und so in Bezug auf die Heuflächen und Konsumenten einen günstigeren Standort erhalten. Überdies verbilligte der Übergang zum Pferdezug die Arbeit.

Winter

Betroffene Gebiete

Winter

Betroffene Gebiete

1874/75

Osten

1922/23

Zentral

1882/83

Gobi

1925/26

Zentral

1886/87

Osten und Zentral

1928/29

Gobi und Zentral

1892/93

Osten

1932/32

Zentral

1892/93

Gobi

1933/34

Osten

1900/01

Zentral

1935/36

Gobi und Zentral

1904/05

Gobi

1938/39

Zentral

1907/08

Osten

1944/45

Gobi, Ost, Zentral, teilw. Westen

1912/13

Osten und Norden

1950/51

Zentral

Owen Lattimore: Nomaden und Kommissare
aus dem Kapitel: Die Nomaden und ihre Geschichte

Überall in Mittelasien war die Winterweide stets der entscheidende Faktor für den Umfang der Herden. Reisende und Beamte — die alten chinesischen, die Mandschubeamten und die des damaligen zaristischen Russlands — sie alle kamen gewöhnlich im Sommer durch die Weidegegenden und fragten sich oft, warum die Schaf- ­und Rinderherden nicht noch größer waren. Der Grund war, dass es nicht annähernd genug gute Winterweiden gab. Das hätte sich natürlich durch zusätzlichen Anbau von Winterfutter ändern lassen, und diese Art von Landwirtschaft gab es auch in gewissem Umfang (freilich mehr unter den Kasachen und Kirgisen als bei den Mongolen), aber soviel wie benötigt wurde, war nie vorhanden, und zwar immer aus dem gleichen alten Grund: In dieser soziologischen Ordnung war die Macht ihrer Fürsten und Häuptlinge auf dem beweglichen Herdenwesen aufgebaut. Wären zu viele Menschen an einen Ort gebunden gewesen, um Ackerbau zu treiben, so hätte dies das System gestört. Wer nicht schon einmal selbst ein ganzes Jahr hindurch ein Nomadenleben geführt hat, kann sich nur schwer vorstellen, wie viele technische Faktoren mitspielen, um den Viehbestand durch den Winter zu bringen. Ist man auf Winterweidenernährung angewiesen, so muss zweierlei vorhanden sein: geschützte Strecken und solche, wo das Vieh Wind und Wetter ausgesetzt ist. Pferde können durch den Schnee scharren, um das Gras zu finden, auch Yaks können es zur Not; aber der sonstige Viehbestand muss exponierte Gebiete haben, wo der Wind den Schnee wegbläst. Gleichzeitig muss es auch windgeschützte Stellen geben (außer für Yaks und Kamele), sonst können die Tiere die Perioden äußerster Kälte nicht überstehen. Es gibt da auch den Dzud (etwa Dsohd mit sehr offenem, nach a tendierendem o gesprochen). Dieses Wort bedeute t im Grunde „fehlende Weide“ oder „Unfähigkeit zu weiden“, und es wird in vielen zusammengesetzten Formen benutzt, um beispielsweise eine Weideknappheit anzudeuten, wenn zu viel Schnee da ist, so dass das Vieh an die darunterliegende Weidefläche nicht heran kann, oder wenn nicht genug Schnee da ist, um auf einer trockenen Winterweide als Ersatz für Wasser zu dienen, oder wenn die Grasnarbe flach getrampelt wurde, so dass sie nicht abgegrast werden kann, oder wenn aus irgendeinem Grunde zu viele Tiere auf einer zu kleinen Weide konzentriert werden müssen. Recht bildhaft bezeichnet man dies als „Huf-­Dzud“. Bei weitem die häufigste und katastrophalste Dzud passiert jedoch, wenn einem für die Jahreszeit ungewöhnlichen Tauwetter ein plötzlicher Frost erfolgt. Dann werden die Grashalme von einer Eisschicht ummantelt, und das Vieh kann nicht grasen. In wenigen Tagen stirbt es dann womöglich zu Tausenden oder Hunderttausenden dahin, eine Katastrophe, vergleichbar der, die durch eine totale Dürre oder durch Wolkenbrüche und das Nachgeben der Ufer an den großen Strömen im Monsun­-Asien verursacht wird. Ansteckende Viehkrankheiten waren zwar von geringerer Bedeutung als die Knappheit an Winterweiden; dennoch bildeten sie einen wichtigen Faktor, die Größe der Herden zu beschränken. Die Lamas bekämpften die Impfung gegen Tierseuchen, und ein Reisender berichtete 1926 von einem Bezirk, dass dort 75 Prozent der Rinder binnen weniger Wochen umgekommen seien. Nomadische Gemeinwesen haben solche Katastrophen viele Jahrhunderte lang überlebt. Dies lässt sich zum Teil damit erklären, dass dezimierte Herden sich schon in ein bis zwei guten Sommern wieder besser erholt haben als Äcker, die durch eine Dürre ausgebrannt oder durch eine Überschwemmung mit Sand und Schlamm zugedeckt worden sind. Lediglich zu überleben ist jedoch etwas ganz anderes.

Goldstein/Beall: Die Nomaden der Mongolei
Aus dem Kapitel: Die Natur bestimmt unser Leben

Das Klima bestimmt den Jahreszyklus des nomadischen Lebens. Während der viermonatigen Wachstumsperiode von Mitte Mai bis Mitte September sind die Berghänge und Täler leuchtend grün und die Abende frostfrei. Im Herbst endet das Wachstum und die Temperaturen fallen unter Null. Die bittere Kälte des Winters setzt allerdings erst im November ein und hält sich bis in den Mai. Das Vieh der Nomaden lebt also acht Monate lang von einer ausgetrockneten Vegetationsdecke. Ein alter Nomade erklärte seine Herdenhaltung so: „Fette Tiere überleben den langen Winter besser; daher sind wir bemüht, unsere Tiere den Sommer über so gut wie möglich zu mästen. Ist die Sommerweide schlecht, gehen die Tiere mager in den Winter. Dann werden wahrscheinlich viele ster­ben, besonders wenn der Winter sehr hart wird.“ Wir fragten, wie oft es schlechte Jahre gäbe, und er antwortete: „Offensichtlich einmal pro Jahrzehnt. 1984 litten wir zum Beispiel unter einer großen Sommertrockenheit. Zuerst dachten wir, der Regen würde nur später kommen, aber als das Gras nicht richtig wuchs, trieben wir ein Drittel unserer Herde nach Norden, in der Hoffnung, dort besseres Weideland zu finden. Letztendlich hatten wir jedoch keinen Erfolg und verloren viele Tiere.“ Gemäß den Berichten verlor der Most­-Distrikt in jenem Winter 18 Prozent seines Viehbestandes. Tabelle 1 zeigt die jährlichen Schwankungen während der letzten 26 Jahre. Ein benachbarter Viehzüchter erzählte uns, wie es zu solchen Katastrophen kommen kann. „Es kann ganz plötzlich geschehen. Wenn der viele Schnee nicht schmilzt oder wenn der Schnee zu schmelzen beginnt, dann wieder friert und sich eine Eisschicht bildet, ist das Gras mit Eis überzogen und die Tiere können nicht fressen.“ Als wir nach dem Heu fragten, das er für den Winter machte, antwortete er: „Wir mähen das Gras im Sommer und benutzen es in derartigen Situationen als Trockenfutter; nur reicht es nicht, um damit eine ganze Herde durchzufüttern. So kann man innerhalb weniger Tage die Hälfte seiner Herde oder, unter ungünstigen Umständen, auch alle Tiere verlieren. Ohne Nahrung gehen die Tiere in der Kälte schnell ein.“ Meistens wehen starke Winde den Schnee weg und legen etwas Gras frei; die Strahlen der Sonne schmelzen den Rest dann schnell weg. Aber wenn alle Weide­flächen bedeckt sind, wissen die Nomaden auch keinen Rat mehr. Als wir den alten Nomaden fragten, wie er seine Heiden mäste, da lachte er und amüsierte sich über die offenbar naive Frage. »Man muss die Tiere eben dorthin treiben, wo das Gras am besten ist«. Einige Viehzüchter sind sehr besorgt um ihre Tiere und machen sich viele Gedanken, doch andere sind faul und passen nicht auf. Die guten Hirten ziehen mit ihren Tieren fünfzehn- ­bis zwanzigmal im Jahr zu den besseren Weiden, während die schlechten Hirten nur wenige Male das Lager wechseln. Wir stellten fest, dass es viele Gründe dafür gibt, weshalb und wann die Hirtennomaden zu neuen Weideplätzen ziehen. Dies verändert sich von Jahr zu Jahr, da sie sich unentwegt an die lokalen, klimatischen sowie an die Weideverhältnisse anpassen müssen. Manchmal ziehen sie fort, weil das Gras in der Nähe des Lagerplatzes nicht ausreicht und die tägliche Wanderung der Herde vom Lager weg einen zu großen Kalorienverlust für die Tiere bedeutet; manchmal, beispielsweise im Winter, ziehen sie zu windgeschützteren Stellen. Dann ziehen sie um, weil die Pflanzen, die die Tiere mögen, an einem anderen Ort wachsen. Yaks werden zum Beispiel im Winter hoch in die Berge getrieben, da sie sich von Pflanzen ernähren, die nur auf höher gelegenen. Berghängen gedeihen. Solche Wanderungen machen es oft notwendig, die Herden aufzuteilen und ein Haupt­- und ein Nebenlager einzurichten. Wenn die Nomaden Glück mit einem guten Sommer und einem milden Winter haben, kann die Größe der Herde schnell anwachsen. Ausgewachsene Mutterschafe und Mutterziegen werfen jährlich einmal, wobei Zwillingsgeburten häufig sind. Die weiblichen Lämmer, die noch nicht richtig ausgewachsen sind, werfen bereits gegen Ende ihres zweiten Lebensjahres. So können drei oder vier milde Winter hintereinander leicht zu einer Verdopplung der Herde führen.

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