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Zud als gesellschaftliche Herausforderung

Eike Seidel, 7.11.2011

In der westlichen Wahrnehmung wird Zud oder Dsuud oft als ein unabwendbares Naturereignis angesehen, bei dem insbesondere starker Frost, Wind oder Wassermangel zum massenhaften Viehsterben führt. Dabei bezeichnet das Wort nur die Folgen von ungünstigen Bedingungen, unter denen die Nomaden ihren gesamten Reichtumg, das Vieh verlieren. Unter betriebswirtschafltichen Gesichtspunkten bezeichnet Zud also den Kapitalverlust bis hin zur vollständigen Vernichtung.

Dabei sind die Ursachen für diesen Kapitlaverlust vielfältig. Seit langem wird die besondere Qualität des Zud durch vorangestellte Adjektive näher beschrieben: Der weiße (zu viel Schnee), der schwarze (zu wenig Wasser im Winter), der eiserne (überfrierendes Eis hindert die Tiere am Weiden) Zud sind dabei die geläufigsten und weisen auf angeblich unabwendbare Ursachen hin. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Auf unserer Reise 2010 sprach eine Gastgeberin von den „faulen“ Nomaden, die ihre Tiere deshalb verlören, weil sie nicht mehr umherzögen, sondern die Weide im Umkreis des Somons zu sehr abnutzten. Der Begriff des „Zud aus Faulheit“ wird mittlerweile in der Mongolei neben die anderen Begriffe des Zud gestellt. Ines Stolpe hat nun in einem Artikel, den sie uns freundlicherweise zur Verfügung stellte, diese mongolische Sichtweise auf den Zud genauer analysiert. Hier wird deutlich, dass in der mongolischen Wahrnehmung weit weniger als gemeinhin angenommen, Zud als eine unabwendbare naturgegebene Katastrophe gesehen wird, sondern immer auch unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Vorsorge, der individuellen Varantwortung und damit letztlich auch unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und Produktionsweise.

Das Recht, die Weide bei Futterknappheit zu wechseln, die Schaffung von Wintervorrat, die Festlegung der Weidewechsel zur Vermeidung von Überweidung, die Festlegung der Tragfähigkeit einer bestimmten Weide bis hin zur Verfassungsbestimmung, dass das Vieh unter dem Schutz des Staates steht, mithin in kollektiver Verantwortung erhalten werden muss: all dies macht deutlich, dass die Vermeidung des Zud, also des Verlusts der Lebensgrundlage der Nomaden, nicht losgelöst von der Ordnung der Ökonomie gesehen werden kann.

Der heutige Diskurs um den Zud in der Mongolei ist also auch immer ein Diskurs um die grundsätzliche Organisation des Nomadismus, um Eigentumsrechte, um Bodennutzung, um kollektive oder individualisierte Verantwortung für Wintervorräte, um Vergesellschaftung dieser Verantwortung (in Genossenschaften oder einer staatlich organisierten Zud-Versicherung) oder Individualisierung des Risikos. Letztlich geht es um die Frage, ob und wie der Nomadismus in der globalisierten Welt unter den Bedingungen der Marktwirtschaft in der Mongolei überleben kann. Die aktuelle Entwicklung stimmt da eher skeptisch: Die Zahl der vom Nomadismus lebenden Familien geht kontinuierlich zurück und die Prognosen der Weltbank zeichnen ein düsteres Bild von den Zukunftschancen der „kleinen“ Nomaden.

Der sehr empfehlenswerte  Artikel von Ines Stolpe kann hier gelesen werden….

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