Geschichte des Negdel
Das Negdel (mongolisch für: Verein) entspricht der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) der sozialistischen Staaten.
Seine Ursprünge reichen zurück bis Ende der 1920er Jahre, als die Fürsten der Mongolei enteignet wurden und zum ersten Mal alles Vieh an die Viehhalter übereignet wurde. Bis dahon hatten diese vor allem das Eigentum ihrer Herren zu hüten. Lediglich ein Sechstel aller mongolen waren sogenannte freie Mongolen mit eigenem Viehbesitz.
Kurz nach der Enteignung der Fürsten – während der sogenannten „linksradikalen“ Phase der MRVP wurde eine Zwangskollektivierung der Hirten eingeleitet. Sie sollten erneut alles Vieh abgeben an eine ihnen völlig unbekannten Rechtsgmeeinschaft der Genossenschaft. Dies führte dazu, dass viele Hirten das Vieh entweder schlachteten oder – im Süden und im Osten – über die Grenze in die innere Mongolei verkauften. Das Experiment wurde nach kurzer Zeit wieder eingestellt.
Es wurde erst wieder aufgenommen nach dem zweiten Weltkrieg und basierte auf Freiwilligkeit. Diese Freiwilligkeit war verbunden mit einer sozialen Entwicklung auf dem Land, an der nur die Mitglieder des Negdel teilhaben konnten: Insbesondere die ärztliche Versorgung des Viehs und der Menschen sind hier zu nennen. So konnte binnen weniger Jahre die in der Mongolei grassierende Syphilis beseitigt werden. Durch die Steigerung der Effizienz der Arbeit konnten Kinder von der Mitarbeit freigestellt werden und die Schule besuchen. in sogenannten „Roten Jurten“ wurden Bildungsmöglichkeiten für die Erwachsenen geschaffen, vergleichbar den Volkshochschulen. Über das Negdel wurden Waren des täglichen Bedarfs beschafft (Seife, Zahnpasta, Bettwäsche, Mehl usw.).
Ende der 1950er Jahre waren nahezu alle Viehhalter Mitglieder des Negdel. Das Vieh (mit Ausnahme von etwa 15% des Bestands) wurde in das Genossenschaftsvermögen eingebracht. Das Einzugsbebiet des Negdel war identisch mit der Fläche der politischen Gemeinde (Somon). Das Negdel war sozusagen die ökonomische Abteilung des Somon.
Innerhalb des Negdel gab es einzelne Abteilungen, sogenannte Brigaden. Dies waren die nach den Tierarten aufgeteilten Brigaden der Pferdehirtem, Rinderhirten, Schfhirten, Ziegenhirten und Kamelhirten. Darüber hinaus gab es die Handwerkerbrigade im Somonzentrum.
Das Negdel steigerte die Effektivität der Arbeit durch Spezialisierung. So konnten Spezialisten „freigesetzt“ werden für Arbeiten, die vorher nur auf sehr einfacher Grundlage bewältigt wurden: Mechaniker, Elektriker, Verwaltungsleute, Transportarbeiter, Kindergärtner*innen, Lehrer*Innen usw. Ohne die Organisation des Negdel hätte die Mongolei kaum den Stand der Entwicklung erreichen können, den sie – zum Erstaunen westlicher Beobachter – dann 1990 hatte. mit Erstaunen wurde von westlichen Beobachtern die Mongolei auf eine Stufe mit Kuba, Nordvietnam und Nordkorea gestellt. Diese vier Länder hatten binnen kürzester Zeit einen Stand erreicht, der alle unter der Vorherscaft des kapitalistischen Systems stehenden „Entwicklungsländer“ weit übertraf.
In den frühen 1990er Jahren wurden die Negdel aufglöst und das Vermögen auf die Genossen verteilt. Wie in nahezu allen sozialistischen Staaten hat dieser Prozess zu einer Bereicherung mancher geführt und die soziale Spaltung eingeleitet. Ohne die Unterstützung durch die kollektive Wirtschaft sind dann in den 1990er Jahre viele Familien ins Elend abgestürzt. Die Auflösung der Negdel hat die Landflucht beschleunigt und als Ergebnis die Elendsviertel von Ulanbaatar hervorgebracht.