Überspringen zu Hauptinhalt

Der kluge Knabe

Einst, vor langer, langer Zeit, lebte in einer armseligen Jurte ein altes Väterchen mit seinem alten Weiblein, und die hatten einen siebenjährigen Sohn. Alles, was sie besaßen, war ein lahmes weißes Pferd und drei ausgemergelte schwarzwe Ziegen.

In tiefstem Elend lebten die Alten, und dennoch wuchs ihr Sohn zu einem geschickten, klugen Jungen heran. Einmal übernachtete in der Jurte der beiden alten Leutchen ein Würdenträger, der sich dem Weg zur Versammlung der Gemeinde befand. Er war ein Mensch ohne Ehre nd Gewissen, seine Grausamkeit war weit und breit gefürchtet. Als er in die Jurte eintrat, saß der siebenjährige junge auf einem Filzteppich und trank Kumys aus einer übergroßen Tasse. Der Würdenträger schaute den Jungen an und brach in wieherndes Gelächter aus:

„Das ist aber ein Tasse! Ein Futtertrog ist das, keine Tasse!“

Der Junge hörte auf zu trinken und betrachtete erstaunt den Gast:

„Ehrenwerter Herr, haben sie am Ende nur soviel Vieh, daß ihnen zur Fütterung desselben ein solcher Trog genügen würde?“

Die Worte des Jungen brachten den Würdenträger in Verlegenheit, und er war zu keiner Antwort fähig.

Morgens, als er sich auf den Weg machen wollte, stellte sich heraus, daß die Ziegen den Bauchgurt des Pferdegeschirrs aufgefressen hatten. Der Würdenträger geriet in Zorn und sagte dem alten Väterchen:

„Ersetze mir den Schaden, sonst ergeht es dir schlecht!“

Der kleine Junge verteidigte seinen Vater:

„Ehrenwerter Gast! Den Bauchgurt deines Pferdes haben die Ziegen aufgefressen. Sollen sie dir doch den Schaden ersetzen.“

Der Würdenträger schwang sich wortlos aufs Pferd. Aber er galoppierte kaum eine Minute, als das Pferd über einen Maulwurfshügel stolperte, und der Reiter purzelte auf die Erde. Den Würdenträger packte die Wut, und er schlug mit aller Kraft, die er hatte, mit der Peitsche auf das Pferd ein. Das sah der Junge und lachte aus vollem Hals.

„Was wieherst du, du Tölpel?“ schrie der Würdenträger.

„Wie sollte ich nicht lachen? Die Leute bei uns sagen: wenn jemandem die Lüge zur Gewohnheit wird, dem stolpert sein Pferd früher oder später über einen Maulwurfshügel, und der Reiter kracht auf die Erde. Demnach sind Sie also ein Lügner und Betrüger.“

Der Würdenträger antwortete auf diese kühnen Worte nicht, er nahm sein Pferd an der Kandarre und ging seiner Wege.

So bewältigte der kluge Junge den Stolz des grausamen Würdenträgers.

An den Anfang scrollen